Was ich in 6 Jahren Flossing gelernt habe

2014 - wie alles begann!

2014 habe ich das erste mal Flossing als Behandlung eingesetzt. Damals gab es ein paar Videos von Kelly Starrett und das Buch "Werde ein geschmeidiger Leopard*". In der damaligen Auflage wurde Flossing in ein paar Bildern gezeigt. Erklärungen, wie stark das Flossing-Band angelegt werden muss, wie lange es dran behalten werden kann und wann es nicht verwendet werden darf gab es nicht. War auch nicht so schlimm - schließlich war der erste Patient, an dem ich Flossing ausprobierte, ich selber. Damals hatte ich immer wieder Knieschmerzen im Bereich der Kniescheibe und der Patella-Sehne. Wahrscheinlich durch eine Überlastung beim Training - regelmäßig Pistols und andere einbeinige Kniebeugen-Varianten hatten Spuren hinterlassen.

Also hab ich mein Knie mit einem Flossing-Band von Lex Quinta* umwickelt. 2m lang, 5cm breit und 1,5mm stark. Gabs damals im 2er Pack zu kaufen. War auch gut so, weil 1 Band fürs komplette Knie nicht wirklich ausreichend war. Also beide Bänder fest drumgewickelt und angefangen das Knie zu mobilisieren. Kniebeugen, Ausfallschritte, Rotationsbewegungen in der Beugung. Für 3 Minuten - die mir wie 10 Minuten vorkamen, weil das mobilisieren mit dem starken Banddruck so unangenehm war. Aber es galt ja Knieschmerzen zu beseitigen, also Augen zu und durch. 

Nach 3 Minuten hab ich das Band abgenommen und - oh Wunder - das Knie tat das erste mal seit Tagen (vielleicht sogar seit Wochen) nicht weh bei Pistols und fühlte sich irgendwie so leicht an. Ich erinnere mich noch genau, dass ich nach dem ersten Flossing-Test schmerzfrei Beine trainieren konnte.

Die Beschwerden kamen am nächsten Tag leicht zurück, aber weniger, und mit Flossing vor dem Training konnte ich die Kniebeschwerden innerhalb weniger Trainingseinheiten in den Griff bekommen. Damit war meine Begeisterung fürs Flossing geboren.

Anmerkung: Ich will hier nicht drauf hinaus, dass Flossing die Wundertherapie ist. Auch soll es nicht so klingen als hätte ich bereits alles damals probiert und nichts hätte gegen meine Knieschmerzen geholfen. Eine Pause hätte es vielleicht auch getan. Aber ich hatte damals keinen Bock Trainingspause zu machen. Das stand nicht zur Option und Training modifizieren. Ja - hab ich vor dem Flossing auch gemacht und die Schmerzen wurden wenigstens nicht schlimmer. Aber besser wurde es auch nicht wirklich. Und noch mehr Modifizierung hätte beudetet weniger zu trainieren. Und wie gesagt, da hatte ich keinen Bock drauf!

Flossing hat bei meinen Knieschmerzen geholfen, also ist da vielleicht was dran. Und was macht man, wenn man von einer neuen Idee begeistert ist. Man fängt an zu recherchieren. Also hab ich angefangen nach Informationen zum Flossing im Internet zu suchen. Das war damals garnicht so leicht - "Flossing" war damals hauptsächlich ein Begriff für Zahnreinigung im englischen und amerikanischen Sprachraum. Und das war nicht das, was ich suchte!

Glücklicherweise wurde das Thema durch Kelly Starrett, sein Buch und seinen Youtube-Kanal langsam bekannter und es gab immer mehr Informationen zu dem Thema. Gleichzeitig entdeckte ich mein Interesse für Blood Flow Restriction Training. Einer Trainingsform, bei der durch Kompression am körpernahen Ende einer Extremität der Blutfluss reduziert wird. Danach werden klassische Übungen aus dem Krafttraining durchgeführt. Das besondere an der Trainingsform, du erreichst mit leichten bis sehr leichten Gewichten (20-30% des 1-Wiederholungs-Maximums) ähnliche Trainingseffekte bezüglich Muskelwachstum wie mit moderat-hohen Gewichten (ab 60% des 1 Wiederholungs-Maximum). Und genau das fand (und finde ich noch immer) als Physiotherapeut interessant. Niedrige Gewichtslasten beim Training ist für viele Krankheitsbilder super!

Aber in dem Moment fand ich noch was anderes viel interessanter. Es gibt eine Trainingsmethode, die ihre Ursprünge in den 1960er Jahren hat, bei der mit gezielter Kompression trainiert wird. Klingt ja ähnlich wie das Flossing! Und zum Blood Flow Restriction Training gab es zu dem Zeitpunkt schon eine große Zahl an Studien und Erfahrungsberichten. Jackpot - schließlich konnte ich aus den Untersuchungen mögliche Effekte aufs Flossing ableiten (oder glaubte das zumindest) und damit ein paar Richtlinien für mich festlegen.

 

Von den eigenen Flossing-Erfahrungen zu den ersten Flossing-Workshops

Diese theoretischen Grundlagen in Kombination mit viel Ausprobieren - von Fussballern im Nachwuchs- und Profibereich bis hin zu einem Patienten nach Strecksehnenriss am Zeigefinger hab ich Flossing bei allen angewandt, die durch meine Behandlungstür kamen. Oder zumindest überlegt, ob eine Anwendung Sinn machen kann und es dann ausprobiert, wenn der Patient oder die Patientin einverstanden war.

Und aus meiner eigenen Erfahrung, dass Flossing intensiv sein muss und Schmerzen durch das Flossing-band dazu gehören, hat sich auch mein Therapie-Ansatz mit dem Flossing-Band entwickelt. Streng nach dem Motto: "Viel hilft viel". Übrigens damals in vielen Lebensbereichen damals mein Motto. Viel Training, viel Arbeit - eher zu viel als zu wenig!

Und als Immo und ich uns Ende 2015 entschieden Flossing als Workshops nach unseren Kinesiology Taping Seminaren und den Faszientrainings-Seminaren anzubieten, haben wir diese Einstellung auch in unseren Workshops weitergegeben.

Ziel war nie, dass es den Patienten weh tut, die Schmerzen beim Flossing waren eher das notwendige Übel, um die Beschwerden zu lindern. Und da mich Therapien wie das Faszien-Distorsions-Modell* zu dem Zeitpunkt stark beeinflusst haben, wurde meine Vorstellung von Intensität beim Flossing nur bestärkt. Schließlich wurden dabei Beschwerden mit sehr starker Intensität behandelt und oft schnelle Behandlungserfolge gefeiert. Vielleicht hab ich in dem Moment aber auch Dinge, die meine eigenen Überzeugungen gespiegelt haben, besser annehmen können und alles was dagegen spricht eher verdrängt. Aber da intensives Flossing gut funktioniert hat, musste ich das ja nicht überlegen, ob es Möglichkeiten gibt Flossing sanfter anzuwenden.

Zwar gab es in jedem Kurs immer 1-2 Teilnehmer, die mir rückmeldeten, dass die Methode an sich sehr spannend ist, sie sich aber nicht vorstellen können diese Intensität bei ihren Patienten anzuwenden. Das hat mich aber nicht weiter gestört. Schließlich ist nicht jede Therapie für jeden geeignet (der Überzeugung bin ich heute immer noch - auch wenn ich meine Einstellung von damals etwas geändert habe).

 

Der Aha-Moment, der meine Flossing-Behandlungen nachhaltig veränderte

Im Jahr 2018 bin ich dann durch Zufall auf ein Video von Dr. Erson Religioso von Modern Manual Therapy gestoßen. In dem Video hat er eine Flossing-Anlage bei Hüftbeschwerden gezeigt und erklärt, dass er das Band nur so stark anlegt, dass sein Patient einen angenehmen Druck spürt. Das Band sollte mehr eine Unterstützung sein und einen stabilisierenden Druck geben, als wirklich schmerzhaft zu sein. Obwohl ich den Blog von Modern Manual Therapy total schätzte und immer noch schätze, fand ich diese Idee doch befremdlich. "Wie soll das denn funktionieren? Das bringt doch so garnichts" war meine Reaktion.

Aber da ich schon immer offen für neue Ideen war und mein eigenes Handeln immer wieder versuche kritisch zu hinterfragen, hab ich es bei nächster Möglichkeit ausprobiert. Witzigerweise war die erste Patientin, bei der ich es ausprobieren konnte, eine Patientin mit Hüftbeschwerden. Um genau zu sein - Hüftimpingement. Und siehe da - auch die lockere Anlage mit dem Flossing-Band hat eine deutliche Schmerzlinderung und Bewegungserweiterung gebracht! Ohne, dass die Patientin Schweißausbrüche wegen des Banddrucks bekommen hat!

Das war einer dieser Aha-Momente mit dem Flossing. War ich doch der festen Überzeugung, dass der feste Druck des Flossing-Bandes notwendig ist, um die verschiedenen Effekte auszulösen, zeigten plötzlich meine Erfahrungen mit den Patienten, dass es auch anders geht. Weniger Druck, weniger Schmerzen durch das Flossing-Band und trotzdem die selben Ergebnisse! Oder zumindest sehr ähnliche Ergebnisse.

Mittlerweile nutze ich das Flossing-Band immer noch regelmäßig mit Patienten. Die Therapie ist aber deutlich angenehmer für meine Patienten. Und die Effekte sind immer noch deutlich sichtbar und spürbar für die Patienten.

 

Bei den mit * gekennzeichneten Links handelt es sich um Affiliate links. Wir erhalten eine Provision, wenn du die Artikel über den Link bestellst. Dich kostet die Bestellung über den Link nichts extra!

 Made in Germany