Flossing ist, trotz der mittlerweile relativ weiten Verbreitung, kaum erforscht. Und wenn man sich anguckt, was erforscht wurde, wird hauptsächlich der Effekt des Flossings auf die Beweglichkeit untersucht.
Entweder wird nur der Effekt von Flossing auf die Beweglichkeit des Sprunggelenks oder Flossing im Vergleich zu anderen Techniken, wie statischem Dehnen oder IASTM (="Instrument Assisted Soft Tissue Mobilisation" - bedeutet: Behandlung der faszialen Strukturen mit speziell-angefertigten Werkzeugen. Beispiele für IASTM-Tools findest du hier* und hier*) gemessen. Wie sich Flossing auf Schmerzen auswirkt und wie Flossing gezielt zur Schmerzmodulation bzw. Schmerzbehandlung eingesetzt werden kann, wurde bisher nicht untersucht. Die einzige Studie, die mir bekannt ist, bei der es um Schmerzen und Flossing geht, ist eine Studie bei der Flossing als Behandlung bzw. Prävention für Muskelkater eingesetzt wird. Das ist sicherlich ein interessanter Ansatz, lässt sich meiner Meinung nach aber auch nicht richtig auf das Thema Schmerzbehandlung übertragen.
Glücklicherweise wird das Thema Schmerzen im Zusammenhang mit Blood Flow Restriction Training in den letzten Jahren viel erforscht. Und da Blood Flow Restriction Training mittlerweile fester Bestandteil für mich ind er Physiotherapie darstellt und ich es auch in meinem eigenen Training nutze, lese ich alles, was mir zu diesem Thema an Studien in die Hände fällt.
Und dabei bin ich auf Studie aufmerksam geworden, die auch Rückschlüsse fürs Flossing ziehen lässt.
Bevor ich dir erkläre, was die Studie genau herausgefunden hat, will ich noch kurz drauf eingehen, was Blood Flow Restriction Training genau ist.
Beim Blood Flow Restriction Training wird die Blutzufuhr bzw. der venöse Rückfluss aus der Extremität durch eine Bandage* oder eine spezielle Manchette* (ähnlich einer Blutdruck-Manchette) reduziert. Diese wird so weit wie möglich körpernah an der Extremität zirkulär angelegt - an den Beinen im obersten Bereich der Oberschenkel knapp unterhalb der Leiste, an den den Armen im obersten Bereich des Bizeps direkt unterhalb der Schultermuskulatur.
Dann wird der Druck so gewählt, dass der venöse Rückstrom in die betroffene nahezu oder vollständig zum Erliegen kommt, der arterielle Zufluss aber noch aufrecht erhalten wird. Das heißt, arterielles mit Sauerstoff angereichertes Blut kann noch in die Extremität fließen. Das venöse sauerstoff-arme Blut kann nur noch vermindert bis garnicht abfließen.
Dabei gibt es zwei Möglichkeiten den Druck zu bestimmen. Eine subjektive Methode, die sich im eigenen Training eignet, am Kunden oder Patienten meiner Meinung nach aber nicht angewendet werden sollte. Dabei wird der Druck der Bandage so gewählt, dass ein Druckgefühl von 5-7 auf einer Skala bis 10 erreicht wird. Der Druck soll gut zu spüren sein, ohne dass Kribbeln oder andere unangenehme Sensationen auftreten.
Die zweite Methode stellt eine deutlich objektiviere Methode dar, die meiner Meinung nach deutlich sicherer ist. Und vor allem deutlich individueller und immer wieder gleiche Drucksituationen schafft. Egal wie die Tagesform des Kunden oder Patienten ist. Dabei wird eine Manchette benutzt, die ähnlich wie eine Blutdruckmanchette aufgepumpt werden kann und dadurch den Druck auf die Extremität erhöht.
Zusätzlich wird unterhalb der Manchette, meist im Bereich Fuß oder Handgelenk (je nachdem ob ich Bein oder Arm benutze) mit einem Doppler-Sono gemessen, wann der arterielle Puls zum Erliegen kommt. Der Druckwert, bei dem der Puls zum erliegen kommt, nennt man LOP ("Limp Occlusion Pressure"). Jetzt wird, je nach Trainingszustand 40-80% des LOP an Druck auf die Manchette gepumpt.
Ist die Bandage oder Manchette mit dem passenden Druck angelegt, kann das Training beginnen. Beim Blood Flow Restriction Training kommen, wie im klassischen Krafttraining, verschiedene Übungen zum Einsatz. Möglich sind Übungen an Kraftgeräten, mit Freihanteln oder dem eigenen Körpergewicht.
Der große Vorteil beim Blood Flow Restriction Training ist, dass bereits mit 20-30% des 1 Wiederholungsmaximums ein deutlicher Muskelzuwachs und daraus folgend auch ein Kraftgewinn erreicht werden können. Beim klassischen Krafttraining können solche Effekte erst ab 60% bzw. 70% des 1-Wiederholungs-Maximums erreicht werden.
Einfach ausgedrückt, Blood Flow Restriction Training ermöglicht mit ein effektives Training mit leichten Gewichten. Muskelaufbau und Kraftaufbau ohne hohe Gelenkbelastungen. Gerade in der Physiotherapie meiner Meinung nach ein absoluter Game-Changer!
In der Studie "3 Low-load resistance exercise, blood flow restriction, or sham blood flow restriction for anterior knee pain. A three-arm pilot RCT" wurde untersucht, wie sich Blood Flow Restriction Training auf vorderen Knieschmerz (anterior knee pain) auswirkt.
Dabei wurden 3 verschiedene Trainingsgruppen gebildet
Die Gruppe, die mit Blood Flow Restriction, trainierte mit 80% des LOP.
Vor, direkt nach dem Training und 45 Minuten später wurde jeweils die Schmerzintensität auf einer Skala von 1-10 bei 3 verschiedenen Bewegungsausgaben gemessen. Einer tiefen und einer halben einbeinigen Kniebeuge und einer Step-Down-Übung.
Sowohl direkt nach dem Training als auch 45 Minuten später verzeichnete die Blood Flow Restriction Gruppe eine deutliche Schmerzreduktion.
Bis hierhin ist das schonmal ein sehr interessantes Ergebnis. Blood Flow Restriction Training könnte bei vorderem Knieschmerz also einerseits in der Therapie als Schmerzlinderung und gleichzeitig als gezieltes Training eingesetzt werden. Andererseits könnte eine Übung mit Blood Flow Restriction Training vor sportlicher Aktivität Sportlern helfen, die unter vorderem Knieschmerz leiden, besser ihren Sport auszuführen.
Beides in meinen Augen hochinteressante Erkenntnisse.
Das Wichtigste kommt aber noch! Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss:
"BFR reduces pain independent of the effect of exercise. One BFR-exercise bout immediately reduced AKP with the effect sustained for at least 45 min, an effect not seen with sham-BFR and without BFR."
Blood Flow Restriction senkt Schmerzen auch unabhängig des schmerzlindernden Effekts von den Trainingsübungen. Und genau hier kommt wieder Flossing ins Spiel.
Wenn Blood Flow Restriction mit einer LOP von 80% - also einem starken Druck - angelegt, Schmerzen für mehr als 45 Minuten lindert, egal ob Übungen gemacht werden oder nicht, hat Flossing höchstwahrscheinlich einen ähnlichen, wenn nicht sogar identischen Effekt.
Schließlich wird beim Flossing auch ein hoher Druck aufs Gewebe gebracht, die Blutzufuhr damit ähnlich moduliert wie beim Blood Flow Restriction Training (nur, dass die Blutzufuhr beim Flossing sehr punktuell im Schmerzbereich verändert wird, beim Blood Flow Restriction im gesamten Bein!).
Und genau dieser Effekt wird immer wieder von Kollegen beobachtet und genau dieser Effekt tritt bei meinen Patienten auf. Flossing lindert das Schmerzempfinden für einen gewissen Zeitraum, sodass Übungen wieder besser toleriert werden, die langfristig die Schmerzen positiv beeinflussen!
Flossing eignet sich gut, um eine initiale Schmerzlinderung oder Schmerzmodulation zu erreichen. Mit dieser veränderten Schmerzwahrnehmung kann man mit seinem Patienten oder Sportler in einen aktiven Therapie-Ansatz einsteigen, um die notwendigen alltags- bzw. sportartspezifischen Fähigkeiten wieder schmerzfrei zu trainieren!
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